Leseprobe
📖 Leseprobe aus Band 1: Winola Wunderfrucht und der Mesiterspion von Venelosa
📖 Auszug aus Kapitel 7
Von Weitem schon hörte Winola Wunderfrucht das laute Schluchzen, das durch den ganzen Wald hallte.
„UUUAAAAHHHH“, Pinus’ herzzerreißender Aufschrei ging Winola Wunderfrucht durch Mark und Bein und sie musste sich kurz schütteln.
„Das ist das Fläschchen mit dem Äffchen, das muss in den Saft mit der Kraft“, wimmerte Pinus laut vor sich hin, „oder doch die Güte mit der Blüte? Und was war das noch mit dem Trank mit dem Gestank? Ich weiß es einfach nicht mehr!“, heulte Pinus erneut verzweifelt los.
Plötzlich schob sich ein Schatten vor das Sonnenlicht. Zwischen dicken Harztränen erblickte er eine Gestalt direkt vor ihm. Winola Wunderfrucht! Pinus erstarrte. Angst breitete sich aus über dem kleinen Kiefernzapfen und er begann zu zittern.
„Ich hab‘ die Zeit vergessen“, schluchzte Pinus herzzerreißend, „und dann, dann hat der Blattlose Björn mich nicht rein gelassen“, stammelte er unter Tränen weiter. „Ich hab’s versucht“, bekräftigte Pinus und hob dabei verzweifelt die Hände in die Höhe. „Aber, aber, aber“, presste er stotternd zwischen seinen Lippen hervor, während ihm dicke Tränen von der Wange rollten und den ganzen Waldboden um ihn herum verklebten, „ich konnte mir die Parole einfach nicht merken.“
Winola Wunderfrucht blickte auf das kleine gelbe Fläschchen, das an einem Lederbändchen befestigt um Pinus‘ schuppigen Hals hing.
Erleichtert blickte sie Herrn von Immerhöflich an. Der verstand sofort. „Gott sei Dank!“, dachte er aufatmend, „der Glücklichmachersaft ist noch da!“
Winola Wunderfrucht setzte sich neben Pinus auf einen Baumstamm und strich ihm beruhigend über den Rücken. Als Pinus‘ Schluchzen langsam verebbte, schaute sie ihn fragend an.
„Ich, ich, ich“, stammelte Pinus, „ich dachte es heißt: ‘in das Fläschchen mit dem Äffchen, muss der Trank mit dem Gestank‘?“
„Nein“, entgegnete Winola Wunderfrucht, „der Trank mit dem Gestank, der macht krank und muss in den Schrank.“
„Dann also doch!“, mutmaßte Pinus, „der Saft so dick wie Butter, der muss runter vom Kutter.“
„Nein“, sagte Winola Wunderfrucht bemüht liebevoll, obwohl sie spürte, wie allmählich ihr Blut in den Adern zu kochen begann: „Die Blüte mit der Güte, muss in den Saft mit der Kraft.“
„War das nicht die Güte mit der Blüte?“, überlegte Pinus nachdenklich.
„Pinus!“, ermahnte ihn Winola Wunderfrucht und verdrehte dabei die Augen.
Schweigend hatte Herr von Immerhöflich dem Schlagabtausch beigewohnt. Nur sein Kopf war ruckartig von einem zum anderen geflogen. Jetzt schüttelte er kurz seinen Kopf, sodass die Tannenzapfen wild umherschlugen.
„Wir müssen das umgehend bereinigen“, unterbrach er Winola Wunderfrucht, ehe sie erneut ansetzen konnte, Pinus zu belehren.
Aber wie sollten sie zur Saftmanufaktur gelangen? Sie war doch bereits wieder in der Tiefe verschwunden. Winola Wunderfrucht ging nachdenklich auf und ab. Wenn doch nur ihre Mutter hier wäre. Die wüsste bestimmt eine Lösung.
„Aber sie ist nun mal nicht da“, ermahnte sie sich selbst. „Komm‘ schon, denk nach!“, sagte sie und fuhr sich dabei mit ihren Fingern durch die dichten Wurzelhaare.
In ihrer Gedankenwolke erschien erst ganz verschwommen und unklar, aber dann immer deutlicher das vertraute Gesicht ihrer Mutter.
„Erinnere dich“, hörte sie in ihren Gedanken die sanfte Stimme ihrer Mutter.
Winola Wunderfrucht erinnerte sich daran, wie sie mit ihrer Mutter am Küchentisch in der Wurzelgasse 11 gesessen hatte und verzweifelt versucht hatte, ihre silbrige Kristallbeere am Seitenscheitel zum Strahlen zu bringen. Sie hatte ihre Stirn kräftig in Falten gelegt und ihre Augen so fest sie nur konnte zusammengekniffen. Ihr Gesicht war puderrot angelaufen, so sehr hatte sie sich angestrengt. Sie hätte schwören können, dass schon Dampf aus ihren Ohren entwich.
Mit einem lauten „UFF“ hatte Winola Wunderfrucht die Anspannung losgelassen und war mit der Stirn auf dem Küchentisch gelandet.
„Du darfst nicht so verkrampft sein! Bemüh‘ dich nicht so sehr“, hatte ihre Mutter ihr empfohlen, „lass es locker fließen. Dann passiert es von ganz alleine.“
„Es muss eine Lösung geben!“, dachte Winola Wunderfrucht laut nach und marschierte mal kreuz und quer, dann wieder auf und ab vor Pinus und Herrn von Immerhöflich hin und her. Beide beobachteten schweigend dieses Schauspiel vor ihren Augen.
Auf einmal begann die kleine silberne Waldbeere an ihrem Scheitel zu flackern, zuerst ganz schwach, dann immer deutlicher und schließlich überstrahlte die kleine Beere die ganze Haarpracht von Winola Wunderfrucht.
„Ich hab’s!“, rief sie laut aus. Im selben Moment zerplatzte die Gedankenwolke und das Bild ihrer Mutter war verschwunden.
„Wir benutzen die Wasseradern des Blattlosen Björn“, wandte sich Winola Wunderfrucht begeistert an Pinus und Herrn von Immerhöflich.
Die beiden sahen sie verständnislos an.
„Versteht ihr nicht?“, fragte Winola Wunderfrucht. „Pinus kann über die Wasseradern des Blattlosen Björn in die Saftmanufaktur rutschen.“
„Aber wie soll das gehen?“, fragte der kleine Pinus und betrachtete dabei sein Schuppenkleid. Er war mittlerweile völlig ausgetrocknet und sein Schuppenkleid stand weit ab vom Körper. So war er viel zu breit, um die Wasseradern runterrutschen zu können.
Winola Wunderfrucht überlegte kurz, während ihre Silberbeere immer noch hell erstrahlte: „Ich stülpe dir meinen Donnerwettermantel über. Wenn du nur wütend genug bist, dann kann er dich ganz nass machen“, sagte sie.
„Glaubst du, das klappt?“, fragte der kleine Pinus.
Winola Wunderfrucht kniete sich vor ihn hin. „Es ist unsere einzige Chance!“, sagte sie.
Winola Wunderfrucht zog ihren Donnerwettermantel aus und legte ihn sanft über Pinus‘ Schuppenkleid.
„Ich bin so wütend auf mich selbst“, sagte Pinus leise.
Ein kleines Leuchten flackerte auf Winola Wunderfruchts Donnerwettermantel auf.
„Viel zu wenig“, bemerkte Herr von Immerhöflich.
„Ich bin so wütend, dass der blattlose Björn mich nicht reingelassen hat“, sagte Pinus, diesmal deutlich lautstärker. Ein kleiner Blitz zischte über den Donnerwettermantel.
„Schon besser“, bemerkte Herr von Immerhöflich erneut.
„Ich bin so wütend, dass die anderen mich zurückgelassen haben!“, schrie Pinus und stampfte auf den Boden. Auf dem Mantel wurde ein lautes Donnern und Blitzen sichtbar.
„Weiter so!“, ermutigte Winola Wunderfrucht den kleinen Pinus.
„Was fällt denen nur ein!“, redete sich Pinus weiter in Rage, „und dann suchen die noch nicht mal nach mir!“, steigerte sich Pinus weiter rein in seine Wut und aus dem Donnerwettermantel schoss ein ganzer Regenschwall auf Pinus nieder.
„Was sind denn das für Gefährten?“, feuerte er sich selbst an, und immer mehr Wassermassen umhüllten ihn. Schließlich war er vollkommen in Wasser getränkt und sein Schuppenkleid begann sich zu schließen. Noch zwei, drei weitere Wutaussprüche – und Pinus’ Schuppenkleid war wieder fest verschlossen.
„Es ist gut“, sagte Winola Wunderfrucht.
Aber Pinus war nicht mehr zu bremsen: „Na wartet, wenn ich nach Hause komme! Denen werde ich was erzählen…“
„Pinus, es ist gut!“, unterbrach Winola Wunderfrucht seinen Wortschwall und legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
Langsam ebbte das Gewitter auf Winola Wunderfruchts Donnerwettermantel ab und Pinus begann sich zu beruhigen. Vorsichtig zog sie ihm den Mantel wieder von den Schultern. Pinus zitterte am ganzen Körper vor Aufregung.
„Wir müssen los!“, sagte Winola Wunderfrucht und sah Herrn von Immerhöflich an.
Der verstand Winola Wunderfruchts Blick und beugte sich zu Pinus vor.
„Kleiner Mann“, sagte er, „wäre es genehm, wenn ich dich in meiner Westentasche tragen dürfte?“
Pinus war noch viel zu aufgeregt, um widersprechen zu können. Und so ließ er es zu, dass Herr von Immerhöflich ihn behutsam aufhob und sanft in seiner Westentasche verstaute. Dort hatte er es gemütlich und warm, wie Pinus schnell feststellte.
Winola Wunderfrucht und Herr von Immerhöflich liefen so schnell sie konnten zum Blattlosen Björn – nicht ohne sich vorsichtig umzusehen, ob sie irgendwo die merkwürdige Gestalt von vorhin erblicken konnten. Aber nein, nirgendwo war etwas Auffälliges zu bemerken.
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Winola Wunderfrucht

WINOLA WUNDERFRUCHT und ihre (fast) Freunde!
Nie einer Meinung. Selten perfekt. Sie sind Bäume, Beeren, Zapfen – wild zusammengewürfelt, widerspenstig – aber genau so stellen sie sich jeder Herausforderung, meistern jedes Abenteuer und kommen jedem Geheimnis auf die Spur.
🏡 Willkommen in Beauvaldis
Mitten im tiefen Wald, wo Brombeeren flüstern und Bäume Geheimnisse tragen, liegt Beauvaldis – ein Reich voller Fantasie, Mut und Saft.
Hier lebt Winola Wunderfrucht, elf Jahre alt, Hüterin der Waldfrüchte und Chefin der kleinen, geheimen Saftmanufaktur.
Klingt verrückt? Ist es auch.
Denn in Beauvaldis läuft nie etwas nach Plan – aber alles nach Herz.
Und Winola’s Motto: „Keine Ahnung wie – aber ich mach’s trotzdem.“
